Was ändert sich durch das Bundesverfassungsgericht?

Worum geht’s in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Medizinstudium?
Am 19.12.2017 entschied der erste Senat des Bundesverfassungsgericht richtungsweisend, wie in Zukunft zum Medizinstudium zugelassen werden soll. Das Urteil ist hier im Volltext einsehbar. Bis einschließlich dem WS 2019/2020 bleibt alles beim alten, danach wird wohl die Wartezeit abgeschafft und die Einschränkung auf wenige Studienortbewerbungen abgeschafft.
Was sind die Leitsätze des Urteils?
- Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG haben jede Studienplatzbewerberin und jeder Studienplatzbewerber ein Recht auf gleiche Teilhabe an staatlichen Studienangeboten und damit auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium ihrer Wahl.
- Regeln für die Verteilung knapper Studienplätze haben sich grundsätzlich am Kriterium der Eignung zu orientieren. Daneben berücksichtigt der Gesetzgeber Gemeinwohlbelange und trägt dem Sozialstaatsprinzip Rechnung. Die zur Vergabe knapper Studienplätze herangezogenen Kriterien müssen die Vielfalt der möglichen Anknüpfungspunkte zur Erfassung der Eignung abbilden.
- Der Gesetzgeber muss die für die Vergabe von knappen Studienplätzen im Studienfach Humanmedizin wesentlichen Fragen selbst regeln. Insbesondere muss er die Auswahlkriterien der Art nach selbst festlegen. Er darf den Hochschulen allerdings gewisse Spielräume für die Konkretisierung dieser Auswahlkriterien einräumen.
- Die Abiturbestenquote begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die maßgebliche Orientierung der Vergabeentscheidung an den Ortswunschangaben sowie die Beschränkung der Bewerbung auf sechs Studienorte lassen sich im Rahmen der Abiturbestenquote verfassungsrechtlich jedoch nicht rechtfertigen.
- Verfassungswidrig sind die gesetzlichen Vorschriften zum Auswahlverfahren der Hochschulen insofern,
- – als der Gesetzgeber den Hochschulen ein eigenes Kriterienerfindungsrecht überlässt,
- – als die Standardisierung und Strukturierung hochschuleigener Eignungsprüfungen nicht sichergestellt ist,
- – als die Hochschulen neben eignungsbezogenen gesetzlichen Kriterien uneingeschränkt auch auf das Kriterium eines frei zu bestimmenden Ranges der Ortspräferenz zurückgreifen dürfen,
- – als im Auswahlverfahren der Hochschulen die Abiturnoten berücksichtigt werden können, ohne einen Ausgleichsmechanismus für deren nur eingeschränkte länderübergreifende Vergleichbarkeit vorzusehen,
- – als für einen hinreichenden Teil der Studienplätze neben der Abiturdurchschnittsnote keine weiteren Auswahlkriterien mit erheblichem Gewicht Berücksichtigung finden.
- Die Einrichtung einer Wartezeitquote ist verfassungsrechtlich zulässig, wenngleich nicht geboten. Sie darf den jetzigen Anteil von 20 % der Studienplätze nicht überschreiten. Die Wartezeit muss in der Dauer begrenzt sein.
- Wollen die Länder im Rahmen des Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG von Bundesrecht abweichen, müssen sie eine Neuregelung oder eine inhaltliche Regelung im unmittelbaren Zusammenhang mit bereits geltendem Landesrecht treffen. Rein redaktionelle Anpassungen genügen nicht. Die ausdrückliche Erklärung des Abweichungswillens ist nicht erforderlich.
Was heißt das konkret?
Das Urteil beschäftigt sich ausschließlich mit den Mechanismen der Vergabe der wenigen vorhandenen Studienplätze an die vielfach größere Bewerberanzahl. Eine Schaffung von zusätzlichen Ausbildungskapazitäten wird durch die Entscheidung nicht veranlasst und ist angesichts der hohen Kosten der Medizinerausbildung auch in Zukunft nicht zu erwarten. Es ändert sich für viele Bewerber nichts zum positiven.
Unbeanstandet lässt das Gericht die bisher geübte Vorabvergabe von 30 Prozent der Studienplätze an bevorzugte Bewerbergruppen wie Härtefälle, Ausländer und Zweitstudienbewerber. Ebenso wird die Vergabe von 20 Prozent der Plätze ausschließlich nach der Abiturnote für statthaft befunden, wobei sich die Beschränkung auf maximal sechs Ortswünsche als unzulässig erweist.
Was passiert mit der Wartezeit?
Erhebliche Veränderungen wird die Entscheidung für das Auswahlverfahren der Hochschulen bringen. Hier darf ein Teil der Studienplätze ausschließlich nach der Abiturnote vergeben werden, wobei zukünftig Landesquoten gebildet werden sollen. Ein Teil der Studienplätze ist in Zukunft nach mindestens einem weiteren abiturnotenunabhängigen Eignungskriterium zu vergeben, was eine stärkere Verlagerung in Richtung fachspezifischer Studierfähigkeitstests erwarten lässt. Angesichts der angemahnten hohen Regelungsdichte (mit entsprechender Fehleranfälligkeit) dürften die ersten Studienplatzanwälte, deren Geschäft angesichts der hochschulfreundlichen Gerichtsentscheidungen in den vergangenen Jahren gelitten hat, schon die Messer wetzen. Viele Fälle wird dies nicht betreffen.
Am Ende der Entscheidung findet sich “echter Sprengstoff”: Das Gericht diskutiert nicht etwa, ob die Chancengleichheit eine breitere Berücksichtigung auch von Bewerbern mit schlechteren Abiturnoten gebietet. Ganz im Gegenteil wird ausgeführt, dass der Anteil von 20 Prozent für Wartezeitkandidaten “nicht erhöht” werden darf. Mehr noch: Eine Wartezeitquote ist schon vom Ansatz her “verfassungsrechtlich nicht geboten” und wird als gänzlich verzichtbar bezeichnet: “Nicht jeder hochschulreife Bewerber muss den Anspruch auf Zulassung zum Studium im Ergebnis tatsächlich realisieren können.” Wenn der Gesetzgeber, was möglich ist, eine Wartezeitquote einführt, ist er jedenfalls verpflichtet, die Wartezeit auf ein zumutbares Maß zu beschränken. Vier Jahre werden als statthaft bezeichnet, acht Jahre jedenfalls als zu viel.
Inzwische wurde gegen die Abschaffung der Wartezeit – erfolglos – geklagt. Die Kommentierung der Rechtsanwältin Dr. Mascha Franzen hierzu ist ist auf anwalt.de einsehbar.